Naturgemäß sagt man gerne älteren Menschen nach, in der Vergangenheit zu leben. Ein weiteres Vorurteil ist, dass ältere Menschen etwas schrullig, etwas eigenartig sind. Ja, sie haben ihre eigenen Vorstellungen und das Leben hat ihnen manches gelehrt, hoffentlich. Es ist darum nicht verwunderlich, wenn ältere Menschen in der Vergangenheit leben.
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War früher alles besser?
Vielleicht war das Leben in jungen Jahren auch erfüllter, im Kreis der Familie, im beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld. Selbst schöpfte man aus der jugendlichen Kraft und das Leben schien noch endlos, voller Träume und Ideale zu sein.
Anderseits ist jener Druck, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen, nun etwas abgeflacht, und in der Vergangenheit leben birgt manche schöne Erinnerungen in sich.
Ein Leben in der Vergangenheit ist Einsamkeit
Es ist ein geläufiges Wort, dass früher alles besser war. Allein das Festhalten an der Vergangenheit bringt nicht weiter, führt in die Einsamkeit. In der Vergangenheit leben wird so zu einer Form von Lebensflucht und führt in die Sackgasse.
Wer aber am Vergangenem festhält, an schönen und guten Lebenserfahrungen, sich gleichzeitig ‚dem Heute‘ nicht verschließt, hat wohl einen guten Weg gefunden. ‚Im Alter‘ sterben zudem immer mehr Weggefährten. Was bleibt?
Die Privilegien von heute nutzen
Keine andere Generation war je so privilegiert wie die heutige. Es sind jene Alten, die einen langen, gesunden und wirtschaftlich gesicherten Lebensabend verbringen dürfen. Langsam rückt auch jene Generation heran, die im Internet und den sozialen Medien zuhause ist.
In der Vergangenheit zu leben öffnet damit die Türen für Recherche und die Verarbeitung des eigenen Lebenskreislaufes. Es öffnet die Türen für eine aktive Auseinandersetzung. Das ist positiv, sofern es nicht zu einer Dauerschleife wird.
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Gemeinsam gegen Isolation und Einsamkeit
Glücklich ist, wer beides kann. In der Vergangenheit leben und am heutigen Leben aktiv teilnehmen. Mehr Möglichkeiten dafür gab es nie, ausgenommen vielleicht die Großfamilie, in der Generationen ihre sozialen Bande untereinander pflegten.
Diese Gesellschaftsform ist in unserer westlichen Welt leider kaum noch zu finden. Dabei ist das Miteinander von ‚alt und jung‘ für alle Beteiligten ein Gewinn.
Ein Miteinander der Generationen
Es ist unser aller Verantwortung, also auch die der jungen Generation, im wechselseitigen Austausch und Miteinander gemeinsam das Leben, zumindest Qualitätszeiten, zu teilen, Anteil aneinander zu nehmen.
So müssen auch ‚die Alten‘, die ältere Generation, nicht in der Vergangenheit leben. „Leihopa und Leihoma“ stehen dafür als Synonym. Sie verfügen über zeitliche Reserven für die Kinder bzw. Enkel und schaffen Freiräume für die Eltern.
Kraft und Mut aus dem Erlebten finden
Ein Geheimnis eines erfüllten Lebens im Alter ist, sich von jenen guten und schönen Episoden inspirieren zu lassen und sie mit ‚in das Heute‘ zu transportieren.
Vieles ist heute nicht schlecht und nicht alles ist gut. In feinen und wohl dosierten Portionen wird das Alter so zu einer Quelle von Le威而鋼
bensweisheit und Lebensqualität.
In der Vergangenheit zu leben als Selbstzweck führt in eine Sackgasse. Aus der Vergangenheit aber Kraft und Mut zu schöpfen, hält im Leben, bereichert es und kann auch der jüngeren Generation eine Hilfe sein.
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Ruhe und Glück im Heute bewahren
Selbst bewundere ich alte Menschen, die etwa die schweren Jahre der Nachkriegszeit erlebt haben und ein ruhiges und fröhliches Gemüt ausstrahlen. Fast immer höre ich, dass das Leben zwar hart war, man materiell mit wenig auskommen musste, und dennoch eine glückliche Kindheit und Jugend hatte.
Wo liegt hier das Geheimnis? In der Vergangenheit leben hat zwar keine Zukunft, doch aus ihr zu lernen sehr wohl. Etwas Bescheidenheit steht uns gut und ist ein gutes Gegengewicht zur Selbstverwirklichung.
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In der Vergangenheit leben auch junge Menschen
Retromanie und Nostalgie übertreiben und über-bewerten die Vergangenheit. Sie sind mehr als die herkömmliche Sehnsucht, erkennt die Sozialpsychologie. Sie impliziert eine emotionale Ergriffenheit und Sehnsucht, die für uns leider unwiederbringlich ist.
Umso erstaunlicher ist es, dass junge Menschen im Alter von 20 bis 30 Jahren sich vermehrt nach dem Gestern sehnen. Vor zwanzig Jahren war das noch anders, die Sehnsucht nach der Zukunft, einer schönen und farbigen Zukunft, dominierte.
Allerdings orientiere man sich dabei an eine weitgehend unbeschwerte Kindheit und Jugend. Junge Menschen vermissen den gesellschaftlichen Zusammenhalt, auch den Zusammenhalt der Generationen?
Zukunft mit der letzten Generation?
In der Vergangenheit zu leben, an ihr festhalten zu wollen, ist also nicht nur den alten Menschen vorbehalten. Die Jungen sehnen sich nach sicheren Zeiten, als sich noch nicht ‚eine letzte Generation‘ auf Deutschlands Straßen festklebte und Kriege allenfalls in fernen Ländern und anderen Kulturen stattfanden.
Wer mag es ihnen verdenken? Selbst das Beamtentum mit einer für sicher gehaltenen beruflichen Laufbahn hat wieder Aufschwung. Selbstverwirklichung muss hinten an stehen. Irgendwie durch die Zeit kommen, scheint die Maxime.
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Aufstehen und ins Handeln kommen
Junge Menschen sehnen sich nach der Unbeschwertheit einer Zeit, in der das Leben noch sicherer und vorhersehbarer zu sein schien. In der Vergangenheit leben, an den 70er- oder 80-er Jahren festhalten zu wollen, bringt nicht weiter.
Es blendet jenen Fortschritt – oder formulieren wir es vorsichtiger als Veränderungen – aus, die das Internet, die Globalisierung und ein vereintes Europa mit sich brachten. Ob diese Veränderungen letztlich gut für uns Menschen sind, darüber lässt sich diskutieren und wird sich zeigen. Eines aber steht fest: Wir können die Vergangenheit nicht ändern, sehr wohl aber die Zukunft.
Wenn die Zukunft den Blick verstellt
Der vielfach zitierte und interpretierte Satz von Altkanzlerin Angelika Merkel, „wir schaffen das“, hat sich heute in ein „wir schaffen es nicht“ gewandelt. Klima-Horror-Szenarien scheinen uns die Zukunft zu rauben, die Welt für den Untergang prädestiniert?
Weg mit allem Fortschritt und hinein in eine schillernde Ökowelt? Auch ein Festhalten an dieser geglaubten Zukunft lähmt, raubt Energie, schürt Ängste und nimmt Perspektive.
Haben wir aus der Vergangenheit gelernt?
Ja, die Zeiten ändern sich und mancher Zeitgenosse meint, sie ändere sich schon wieder bzw. erneut. Wir alle drehen uns im Rad der Zeit und an der Vergangenheit festhalten ist per se nicht schlecht, ziehen wir die richtigen Lehren daraus.
Was aber können wir an Positiven in die heutige schnelle Welt übernehmen? Wissen aus der Vergangenheit hilft weiter, zeigt nicht nur gute, sondern auch bedenkliche Entwicklungen. Und doch verdeutlichten die Pandemiejahren, dass wir aus der Geschichte wenig gelernt haben. Ausgrenzung und Denunziantentum hatten Hochkonjunktur.
Lebenserfahrungen prägen uns
Letztlich nehmen wir alle unterschiedliche Lebenserfahrungen aus der Vergangenheit mit in das Heute. Veränderungen stellen uns dabei grundsätzlich immer vor neue Herausforderungen, zeitweise erscheinen sie uns auch als Probleme.
Und da das Leben kein Wunschkonzert ist – übrigens ein Spruch aus ‚Omas Zeiten‘ – formen und prägen uns auch negative Erfahrungen. Denken wir etwa an Flucht oder Vertreibung, die für uns heute ja wieder gegenwärtiger sind, doch nie aufgehört haben, solange es Menschen gibt.
Die Fliehkräfte der Zeit
Verschiedene Lebenserfahrungen zu haben ist darum nicht ‚dem Alter‘ vorbehalten. Im Gegenteil, im Alter können wir es häufiger etwas ruhiger angehen lassen. In jungen Jahren sind wir viel mehr den Fliehkräften der Zeit, der Wirtschaft, der Gesellschaft und der persönlichen Veränderungen ausgesetzt.
Ein Leben in der Vergangenheit nimmt einen besonderen Stellenwert ein, verspricht es doch Sicherheit, Trost und Erinnerungen an eine uns vertraute Lebenswelt. Dabei sollten wir bedenken, wir selbst sind nicht die Vergangenheit. Wir sind das Heute und sind nicht an sie gebunden.
Leben im Bewusst-Sein
Der richtige Umgang mit dem Erlebten sowie den Herausforderungen der Zukunft, führt über unser Bewusst-Sein. Einerseits müssen wir uns unserer Gefühlswelt, also der Emotionen, klar werden. Anderseits die harten Fakten und Perspektiven wahrnehmen und uns damit auseinander setzten.
Das klingt einfach, ist aber nicht jedermanns oder jederfraus Sache und ein Prozess, der sich über Monate hinziehen kann. Ein Leben in der Vergangenheit, ein Festhalten an ihr, ist dabei nicht hilfreich. Was bietet die Zukunft, was können wir mitnehmen, was wollen wir und motiviert uns? Kurzum: für Zukunftspläne ist immer die richtige Zeit.
Was zählt ist das Jetzt und Hier
Unser heutiges Leben ist die Vergangenheit von morgen. Gehen wir darum sorgfältig mit ‚dem Heute‘ um. Es gibt auch nur einen einzigen Moment, in dem wir Leben. Es ist das Jetzt. Dieser einzigartige Augenblick gilt für immer.
Weder ein Leben in der Vergangenheit, noch ein Leben, dass immer nur auf die Zukunft hofft, sind gute Ratgeber. Es ist nur ein Moment der zählt, nämlich das Jetzt und Heute. Es ist uns gegeben und wir tun gut daran, es als solches anzunehmen. Auch das ist wieder eine Frage des Bewusst-Seins.
Foto: Wir Menschen sind Teil der Schöpfung und leben ‚auf Hoffnung hin‘.
Lorenz: eine Episode zum Schluss
Mein Freund Lorenz hatte in jungen Jahren schon mehr erreicht als die meisten Zeitgenossen. Das Leben konnte im Glück mit der richtigen Portion Wohlstand und Familienglück ruhig so weitergehen, Lorenz hätte nichts dagegen gehabt.
Doch es kam anders. Wirtschafts- und Lebensumstände zogen ihm den bildlichen Boden unter die Füße weg. Selbst wenn er es gewollt hätte, ein Leben in der Vergangenheit aber war nicht mehr möglich. Was nun?
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Verlust und Energie-Räuber
Lorenz kann sich gedanklich in der Vergangenheit verlieren, sich mit Vorwürfen quälen, das Leben schwer machen, doch ändert er damit etwas? Kaum. Motiviert ihn ein schlechtes Gewissen, es in den nächsten Jahren besser zu machen? Kaum.
Es entzieht ihm Energie und schränkt die Möglichkeit einer positiven Veränderung ein. Was er brauchte war ein Blick auf das Heute und Hier und einen Weg in die Zukunft, selbst wenn es nur kleine Schritte sind.
Alles hat seine eigene Zeit
Ein Leben in der Vergangenheit hemmt und für Lorenz hätte es Stillstand bedeutet, ein Verharren in einer schwierigen Lebenssituation. Er hat eine Weile gebraucht, um aus dieser Krise wieder herauszufinden.
Auch konnte er nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen. Er fand ganz neu zu sich selbst und wie er selbst sagt, ist sein Leben heute bessere als in den Jahren zuvor. Er ist auch nicht verbittert, denn er hat für sich erkannt, dass alles im Leben seine Zeit, seine besondere Zeit hat.